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John Langdon-Down, Zeichnung von Leonie Schilling

Wer war John Langdon-Down?

Wer war John Langdon-Down?
Wann und wo lebte er?
Was war er für ein Mensch?
Und was hat er mit dem Down-Syndrom zu tun?

Einleitung
Über John Langdon-Down ist selbst unter Fachleuten (Ärzte und Ärztinnen, Humangenetiker und Humangenetikerinnen) bis heute wenig bekannt. Die meisten wissen nur, dass er es war, der den irreführenden Begriff „Mongolismus“ geprägt hat. Viele denken, er sei der Meinung gewesen, bei dem von ihm beschriebenen Syndrom handele es sich um „eine angeborene Degeneration auf niedrigerer Stufe der Evolution“. So wurde es auch noch anlässlich seines 100. Todestages im Jahr 1996 in Zeitungsartikeln geschrieben. Langdon-Downs tatsächliche Sichtweise auf die Menschen mit Down-Syndrom sowie seine Verdienste als einer der Begründer der so genannten Sozialmedizin bleiben meist unerwähnt. Aufschluss über sein Leben als Arzt und Wissenschaftler geben nicht nur seine Veröffentlichungen, in denen er die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung zu „Idiotie“ und Geisteskrankheit sowie seine Erfahrungen als Arzt von Menschen mit geistigen Behinderungen veröffentlicht hat. Vielmehr noch zeigen Langdon-Downs Erziehung und Förderung der damals sogenannten „Schwachsinnigen“, mit denen er über viele Jahre in zwei verschiedenen Einrichtungen zusammenlebte, seine herausragende Rolle als Vorreiter einer sozialen Medizin.


Herkunft und berufliche Ausbildung
Am 18. November 1928 wurde John Langdon Haydon Down als siebtes und letztes Kind der Eheleute Joseph Almond Down und Hannah Haydon in Torpoint, England, geboren. Der Vater betrieb ein eigenes Geschäft und obwohl er offiziell immer nur als „Kolonialwarenhändler“ bezeichnet wurde, war er ebenfalls als Apotheker tätig, wofür er wohl nie eine qualifizierte Ausbildung genossen, geschweige denn eine Prüfung absolviert hatte. Trotzdem schloss Langdon-Down 1849 mit seinem Vater einen Ausbildungsvertrag zum Apotheker ab, der auch von der Apothekerkammer anerkannt wurde. Langdon-Down war nur wenige Jahre zur Schule gegangen, hatte zwischen 1842 und 1847 im elterlichen Betrieb gearbeitet und im Anschluss ca. ein Jahr bei der Pharmazeutischen Gesellschaft in London studiert.

Nach verschiedenen Dozententätigkeiten im Fach Chemie entschloss sich Langdon-Down zum Medizinstudium und immatrikulierte sich 1853 am London Hospital. Ein Jahr später schrieb er sich auch als Medizinstudent an der Universität zu London ein. Um als Arzt anerkannt zu werden, war es zu jener Zeit sinnvoll, Prüfungen in mehreren Fachrichtungen bei verschiedenen etablierten medizinischen Gesellschaften abzulegen, weshalb Langdon-Down mehrere Diplome erwarb. 1859 promovierte Langdon-Down an der Universität zu London zum MD (Doctor of medicine) und war bis 1890 sowohl als Arzt am London Hospital als auch als Dozent am London Hospital Medical College tätig.


Superintendent am Earlswood Asylum (1858–1868)
Die Bewerbung Langdon-Downs um die Stelle als Superintendent des Asylum for Idiots in Earlswood nahe Redhill in Surrey im Jahr 1858 hatte zunächst rein praktische Gründe. Langdon-Down hatte seine spätere Frau, Mary Crellin, kennen gelernt, jedoch ließen seine bescheidenen finanziellen Verhältnisse eine Heirat nicht zu (siehe unten).

Mary Down, fotografiert von ihrem MannSeine Tätigkeit am London Hospital erbrachte nur ein geringes Honorar (erst 1870 erhielt er dort eine Stelle als Vollarzt mit jedoch auch nur bescheidenem Gehalt), die Etablierung einer Privatpraxis hätte bis zu einer entsprechenden finanziellen Rentabilität Jahre gedauert. So bewarb er sich, ohne jegliche Erfahrung im Umgang mit geistig behinderten Menschen, um die regulär bezahlte Anstellung am Earlswood Asylum, was zudem den Vorteil mit sich brachte, dass ihm dort auch eine Wohnung für eine künftige Familie zur Verfügung stand. Das 1847 gegründete Heim für geistig behinderte Menschen, vornehmlich aus der ärmsten Bevölkerungsschicht, unterstand einer Gruppe philanthropisch orientierter Bürger, die Langdon-Down zu humanem Führungsstil verpflichteten (Initiatorin war eine Frau Plumbe, die „hinsichtlich ihres Engagements für geistig zurückgebliebene Menschen ihrer Zeit weit voraus war“ (vgl. Pies 1996, S. 46). Anfang des 19. Jh. waren Asyle meist „Verwahranstalten“, in denen z.B. Fixierung der geistig behinderten und geistig kranken Menschen an der Tagesordnung war. Therapie oder Förderung gab es so gut wie nicht, um 1800 erst hatte die „Irrenheilkunde“ überhaupt begonnen, sich institutionell vom Strafvollzug und dem Armenasyl zu lösen.). Langdon-Down hatte gerade den Bachelor of Medicine (MB) erworben, als er 1858 mit seiner Arbeit am Earlswood Asylum begann. Er hatte nun ca. 300 geistig behinderte Bewohner medizinisch zu betreuen, ohne dass er in irgendeiner Form eingearbeitet wurde oder sonstige Instruktionen erhielt; für die täglichen Probleme gab es keinen Ansprechpartner. Uneingeschränkte Unterstützung erhielt Langdon-Down von seiner Frau, die er 1860 heiratete und die von da an mit ihm zusammen in Earlswood lebte. Wie auch Langdon-Down selbst, war Mary Crellin in einem tief religiösen Elternhaus aufgewachsen; vor diesem Hintergrund begann sie sich um die Organisation des Heimes mit vielfältigen Aufgaben zu kümmern, in engem Kontakt mit den Bewohnern zu leben und dabei die eigene Familie zu gründen. Das Ehepaar Langdon-Down bekam vier Kinder, von denen drei in Earlswood geboren wurden (siehe unten).

Langdon-Downs Arbeit im Earlswood Asylum war nicht nur geprägt von einem humanen Führungsstil und einer guten medizinischen Betreuung der Bewohner. Schon bald nach Beginn seiner Arbeit begann er mit umfassenden Reformen des gesamten Heimlebens, die zeigen, wie schnell er die Belange der behinderten Menschen zum Mittelpunkt seines ärztlichen und auch wissenschaftlichen Interesses machte. Obwohl keinerlei Erfahrung, wollte er die Bewohner nicht nur menschenwürdig betreuen, sondern begann nach kürzester Zeit mit der Förderung sowohl der körperlichen als auch der intellektuellen Fähigkeiten, mit dem Ziel, ihnen Erziehung und Bildung angedeihen zu lassen. Auf diesem Gebiet hatte es europaweit erst vereinzelte Anstrengungen gegeben, wie Langdon-Down selbst in einer späteren Vorlesung (1887) resümiert.

Langdon-Down gestaltete das Leben in Earlswood in einer Weise um, dass die Bewohner ein möglichst hohes Maß an Selbständigkeit erlangten, indem sie Alltagsfertigkeiten trainierten (z.B. Essen mit Besteck), anstatt passiv versorgt zu werden. In seinen vielen Protokollen für die Heimverwaltung ist eindrucksvoll zu lesen, wie detailliert er sich Gedanken über Veränderungen in nebensächlich erscheinenden Ereignissen, wie z.B. das Einnehmen der Mahlzeiten, machte und wie viel Bedeutung er ihnen als Förderungsmöglichkeit für seine Patienten beimaß. Nach und nach wurde das Earlswood Asylum unter Langdon-Downs Leitung eine Art Selbstversorger-Betrieb mit eigener Bäckerei, Wäscherei und Werkstätten sowie einem landwirtschaftlichen Betrieb. Parallel begann Langdon-Down individuelle Trainingsprogramme zu entwickeln, die Übungen zur Fingerkoordination, Lippen- und Zungenbeweglichkeit sowie spezielle Ernährungsformen enthielten. Ein weiterer Schwerpunkt war auch die religiöse Erziehung, tägliche Morgen- und Abendgebete sowie sonntägliche Gottesdienste waren fester Bestandteil des Heimlebens. Seine in Earlswood entwickelten Konzepte für die Behandlung und Therapie geistig behinderter Patienten präsentierte er 1867 auf einem Sozialwissenschaften-Kongress. Der Vortrag wurde 1876 unter dem Titel „On the education and training of the feeble in mind“ gedruckt.

Während seiner Zeit in Earlswood betreute Langdon-Down viele Menschen (er sprach von mehr als 10 Prozent der ihm präsentierten Fälle), die er dann 1866 in seinem ethnischen Klassifizierungssystem als „Schwachsinnige des mongolischen Typs“, beschrieb. Sowohl in dieser wohl bekanntesten Veröffentlichung zur ethnischen Klassifizierung als auch in seinen späteren Abhandlungen zu Geisteskrankheit und „Idiotie“ widmet Langdon-Down dieser Gruppe mit dem später nach ihm benannten Syndrom besondere Aufmerksamkeit.

Das Earlswood Asylum entwickelte sich auf oben beschriebene Weise zur ersten Institution dieser Art für geistig behinderte Menschen in England. Zahlreiche Besucher, darunter viele ärztliche Kollegen, waren tief beeindruckt von der Arbeit Langdon-Downs.

“I could not help being forcibly struck [beeindruckt] at the interest he [gemeint ist Langdon Down, Anm. der Aut ] took in all the inmates and the pleasure they experienced in seeing him as he accompanied me over the estate, coming round him as they did, and taking his hand and evincing their unfeigned delight [echtes Entzücken] in his presence“,

schrieb Charles Buxton (MP) im Anschluss an einen Besuch in Earlswood 1864 an die verantwortliche Verwaltung. Die Patientenzahlen wuchsen stetig (kurz nach Langdon-Downs Ausscheiden wurde das Heim um neue Gebäude erweitert), die Wartelisten für eine Aufnahme in die Einrichtung waren lang.

Trotz Langdon-Downs großartiger Arbeit, die Earlswood zu einer Vorzeigeeinrichtung des so genannten Lunacy Board, einer übergeordneten Kommission zuständig für die Kontrolle der „Irrenanstalten“, gemacht hatte, gab es mehr und mehr Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Heimverwaltung. Langdon-Downs Bestreben, Earlswood nach seinen Ideen umzustrukturieren und neue Konzepte zu entwickeln, vertrug sich nicht mit der engmaschigen Kontrolle seitens der Heimverwaltung, welche in allen Fragen letzte Entscheidungsgewalt für sich beanspruchte. Ein großer Streitpunkt war die Aufnahme zahlender Patienten aus wohlhabenden Schichten (hier gab es zahlreiche Anfragen), was die Verwaltung, festhaltend am Status einer wohltätigen Einrichtung, auf ein Minimum beschränkte. Auch Langdon-Downs parallele Tätigkeit als Dozent und Arzt am London Hospital sorgte für Spannungen, da seine Abwesenheit vom Earlswood Asylum nicht gern gesehen wurde. Bevor die Situation eskalierte, entschloss sich Langdon-Down zur Kündigung seines Postens als medizinischer Superintendent.

John Langdon-Down, gezeichnet von der Künstlerin Leonie Schilling
Leben und Arbeiten im Normansfield Trainings-Institut
Gemeinnützige Einrichtungen wie das Earlswood Asylum leisteten wertvolle Arbeit für die arme Bevölkerungsschicht, wenn auch gerade außerhalb der großen Städte die Versorgung nur mangelhaft war. Für geistig behinderte Angehörige reicher Familien gab es zu dieser Zeit keine Möglichkeit einer institutionellen Unterbringung. In seinem Vortrag 1867 auf einem Sozialwissenschaften-Kongress beschreibt Langdon-Down die Situation in der upper class:

“Nor is his position [des „Schwachsinnigen“, Anm. d. Aut.] more desirable in the houses of the wealthy. His claims are lost sight of [aus den Augen verloren], and the great aim is to keep his existence a secret, while no kind of compainionship is established between him and the other members of the household. Moreover, the claims [Ansprüche] of society, the presence of visitors … lead to his being consigned to the care of servants [sein Dasein der Obhut von Dienstboten zu überlassen] in the upper and less frequented portions of the house, where his life must necessarily be monotonous and uninteresting.“

Langdon-Down gründete seine eigene Einrichtung, die er Normansfield Trainings Institute nannte, im Jahr 1868 in Teddington. Nun hatten auch besser gestellte Familien die Möglichkeit ihr geistig behindertes Kind gegen Bezahlung dort unterzubringen, es großzügig auszustatten und – wie Sir Brain Rix in seinem Buch „Farce about face“ (1989) bemerkt – aller Welt zu verkünden, es sei gestorben. Da angesichts der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse eine auch nur annähernd angemessene Förderung und Bildung geistig behinderter Menschen innerhalb ihrer Herkunftsfamilien undenkbar war (unabhängig davon, welcher sozialen Schicht sie angehörten), plädierte Langdon-Down stets für ihre Erziehung in geeigneten Einrichtungen unter ihresgleichen. In Normansfield war die Ausbildung der Bewohner durch mehrere Lehrer gesichert. Bedenkt man, dass die allgemeine Schulpflicht in England erst 1870 eingeführt wurde, die Beschulbarkeit von geistig behinderten Menschen nochmals 100 Jahre später erst im Education Act von 1970 gesetzlich festgeschrieben wurde, wird deutlich, dass Langdon-Down mit seinem Förderungs- und Bildungskonzept seiner Zeit um 100 Jahre voraus war.

Die in Earlswood begonnene Arbeit, mit gezielter Förderung und geeigneten therapeutischen Methoden den geistig behinderten Bewohnern ein hohes Maß an Lebensqualität und Selbständigkeit zu ermöglichen, konnte Langdon-Down nun in seiner eigenen Institution ganz nach seinen Vorstellungen weiter entwickeln. Seine Erfahrungen und Konzepte lassen Normansfield wie ein modernes, ganzheitliches Therapiezentrum erscheinen. Neben körperlicher Ertüchtigung (z.B. auch durch Rollschuhlaufen), spezieller Ernährung und Arbeitsmöglichkeiten in verschiedenen Werkstätten, gab es individuelle Förderung von Zungenübungen bis zum Mathematikunterricht. Doch auch die kulturelle Bildung seiner Schützlinge zeichnet die Arbeit Langdon-Downs als für seine Zeit einzigartig aus. Neben Musik und Tanz als Therapie ließ Langdon-Down ein eigenes Theater bauen, in dem Aufführungen einstudiert wurden, an denen mitunter auch Patienten teilnahmen. Hierzu referierte Langdon-Down in einer Vorlesung 1887:

„… während sich für alle [Bewohner, Anm. d. Aut.] Musik und Tanz mit Aufführungen von Dramen abwechseln, die am nützlichsten sind, da sie sich an beide, die Augen und die Ohren wenden."

Heute ist die Normansfield Amusment Hall eines der wenigen existierenden Privattheater aus jener Zeit, architektonisch und historisch einzigartig und mit immer noch aktivem Theaterbetrieb.


Weitere Tätigkeiten außerhalb von Normansfield
Mit Kündigung seiner Anstellung (und damit dem Verlust seines festen Gehaltes) am Earlswood Asylum und der Gründung seines eigenen Institutes sah Langdon-Down den richtigen Zeitpunkt gekommen, zusätzlich eine Privatpraxis aufzubauen, schon allein um finanziell eine weitere Absicherung zu haben. Während seine Frau Mary hauptsächlich die Tagesgeschäfte in Normansfield führte, betrieb Langdon-Down täglich seine Praxis in der Harley Street in London. Ein ebenfalls wichtiger Teil seiner ärztlichen Tätigkeit blieb bis zu seinem Tod die Arbeit am London Hospital. Langdon-Downs hoch entwickeltes soziales Bewusstsein spiegelt sich gerade in der Lehre seiner Studenten wider. Neben einer qualifizierten Ausbildung – möglichst mit Universitätsabschluss–, die er propagierte, versuchte er eindringlich seine Studenten dahingehend zu sensibilisieren, dass sie als Ärzte nicht nur beschädigte Körper, sondern auch empfindliche Seelen behandeln müssten. In einer Semester-Eröffnungsrede schildert Langdon-Down die möglichen Gefühle und Ängste von Patienten, die, plötzlich aus ihrem Alltag gerissen, nun zu einem Krankenhausaufenthalt gezwungen sind:

"In your care of fractured limb regard the broken spirit.“

Langdon-Down versetzt sich in einer anderen Passage in die Lage einer Mutter, die ihr Kind im Krankenhaus zurücklassen muss:

"She [die Mutter, Anm. d. Aut.] has to leave with you the most precious thing [muss ihr Kostbarstes zurücklassen] in her narrow world. Wound not her bleeding heart by flippant speech or rough rebuke [barsche Zurechtweisung]. She has need of words of solace [tröstende Worte] to calm her saddened state [aufgeregten Zustand].“

Weiter erinnert Langdon-Down seine Studenten daran:

"… that nearly all the patients who line the wards have left their homes, and cast themselves among strangers [finden sich inmitten von Fremden wieder], … and that their convalescence will often be promoted by the genial manner and kindly bearing of those attend to their needs [freundliche Art derer, die sie pflegen]."

(Vgl. zu den Zitaten Langdon-Down 1864, S. 406–407.)

1868 wurde Langdon-Down zum Mitglied des Royal College of Physicians of London berufen, als Dozent hielt er 1887 die Lettsomian-Lectures der Medical Society. Ab 1884 fungierte Langdon-Down als Friedensrichter der Counties of London and middlesex and the liberty of Westminster, später auch als Ratsherr des County Council of Middlesex. 1890 erkrankte Langdon-Down an einer schweren Grippe, von der er sich nur langsam erholte. Er trat als aktiver Arzt des London Hospital zurück, blieb aber so genannter Consulting Physician des Krankenhauses.

Dr. Katja Weiske hält einen Vortrag über John Langdon-Down
Bewohner mit Down-Syndrom in Normansfield
Das Normansfield Training Institute startete mit 19 Bewohnern und wuchs bis 1891 auf 150 Bewohner an. Langdon-Down führte ausführliche Protokolle über seine Schützlinge, aus denen ersichtlich ist, dass er insgesamt 22 Bewohner des „mongolischen Typs der Idiotie“ betreute (zur ethnischen Klassifizierung siehe unten). Die detaillierten Aufzeichnungen zeigen einerseits den Wissenschaftler Langdon-Down, der sich durch eine genaue, nüchterne Anamnese weitere Erkenntnisse und diagnostische Möglichkeiten bezüglich dieser Form des „Schwachsinns“ erhoffte, andererseits notierte er auch Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen seiner Patienten in einer Weise, die die menschliche Nähe und Beziehung zu ihnen deutlich werden lässt. Beeindruckend sind die geringe Sterberate und das hohe Alter, das einige der Bewohner erreichten. Sechs Bewohner mit Down-Syndrom lebten über 35 Jahre in Normansfield, der älteste wurde 59 Jahre alt. In Zeiten von Scharlach-Epidemien und Tuberkulose mit den damals nur begrenzten Therapiemöglichkeiten zeigt sich hier der hohe Standard der Einrichtung in der Pflege und Versorgung seiner Bewohner. Die erste Frau mit Down-Syndrom in Normansfield, Mary A., kam mit 19 Jahren und starb im Alter von 58 Jahren. Langdon-Down schrieb über sie in seinen Aufzeichnungen:

"She is extremely obstinate [dickköpfig], will not walk beyond the grounds and this obstinacy is most marked at the period antecedent to her catamenia [Begriff für Menstruation, Anm. der Aut]. She can write a letter and play some tunes from memory on the piano. She is affectionate [liebevoll] and when she is free from ill temper, is witty [geistreich] and cheerful.”

Mary A., fotografiert von John Langdon-Down

Die Sichtweise Langdon-Downs auf seine Patienten der „großen mongolischen Familie“ stellt sich eindrucksvoll in seinen Fotografien dar, die er von ihnen fertigte. Beeinflusst von seinem Kollegen Dr. John Collony (erster Professor für Medizin an der Universität zu London), der schon für einige Veröffentlichungen mit Lithographien von klinischen Fotografien gearbeitet hatte, kaufte sich Langdon-Down einen Fotoapparat und fertigte 1862 seine erste klinische Fotografie (eine langwierige, damals technisch sehr umständliche Prozedur). Die Fotografien seiner Patienten mit Down-Syndrom lassen die ihnen vom Fotografen zuerkannte Persönlichkeit und Menschenwürde erkennen. Sie stehen in krassem Gegensatz zu den klinischen Fotografien späterer Veröffentlichungen anderer Autoren zur „mongoloiden Idiotie“, die eine defektorientierte Betrachtungsweise der Menschen mit Down-Syndrom offenbaren.


Langdon-Down als Wissenschaftler – die ethnische Klassifizierung
Langdon-Downs literarisches Werk ist kein sehr umfassendes, ab 1887 hat er nichts mehr veröffentlicht, was häufig mit Bedauern angemerkt wurde. Seine Bibliographie umfasst 28 Titel (zusammengestellt von Pies 1996), darunter auch jene ethnische Klassifizierung von „Schwachsinnigen“ („Observations of an ethnic classification of idiots“, 1866), in der er die Menschen mit dem später nach ihm benannten Syndrom beschreibt und die ihm (zu Unrecht) bis heute den Ruf eines Verfechters atavistischer Theorien einbrachte. Die Fähigkeit, geistige Behinderungen verschiedener Ursache voneinander abzugrenzen, wurde überhaupt erst durch die Trennung der so genannten „Idioten“ (Menschen mit einer geistigen Behinderung) von den damals so genannten „Irren“ (Menschen, die an einer psychiatrischen Erkrankung leiden) möglich. Langdon-Down unternahm einen weiteren Schritt, indem er am Earlswood Asylum versuchte, geeignete Lerngruppen bestehend aus geistig behinderten Bewohnern mit etwa gleichen Fähigkeiten zusammenzustellen, in dem Bestreben, damit optimale Voraussetzungen für eine Förderung zu schaffen. Dadurch war es ihm überhaupt erst möglich, die sich äußerlich ähnelnden Patienten als Gruppe mit derselben geistigen Behinderung zu identifizieren. Mit Hilfe einer großen Datensammlung (Aufzeichnungen über die Earlswood-Bewohner sowie über Patienten, die ihm in der Ambulanz des London-Hospitals vorgestellt worden waren) stellte Langdon-Down neben der „großen kaukasischen Familie“ (zu der die Europäer gehören) vier weitere „ethnische Standards“ auf, nach denen er die Vielzahl der von ihm betreuten Menschen mit geistiger Behinderung einteilen konnte. Darunter auch die „große mongolische Familie“. Mit mehr als 10 Prozent seiner Fälle handelte es sich um eine relativ große Gruppe.

Studiert man seine Veröffentlichung hierzu aus dem Jahr 1866, wird deutlich, dass dieses Klassifizierungssystem zu einer möglichst frühen, genauen Diagnosestellung dienen sollte, um durch die bereits vorhandenen Kenntnisse über Menschen mit dieser „Schwachsinnsform“ früh eine optimale Förderung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten einleiten zu können. Eine Abwertung der betroffenen Menschen auf eine „niedrigere Stufe“ der Evolution, so wie es in der Folgezeit häufig getan wurde, war keinesfalls die Intention Langdon-Downs. So schreibt er in dieser Abhandlung über die Menschen der großen mongolischen Familie:

„Es sind Fälle [der „mongolischen Familie“, Anm. d. Aut.], bei denen sich wohlüberlegte Behandlung lohnt. Sie brauchen stark stickstoffhaltige Ernährung mit einem beträchtlichen Anteil an ölhaltigen Stoffen. Sie verfügen über beträchtliche Nachahmungsfähigkeit, die sogar bis zur Schauspielerei geht. Sie sind humorvoll; ein lebhafter Sinn für das Lächerliche belebt oft ihre Mimik. Diese Fähigkeit zur Nachahmung kann sehr weit gefördert und in eine praktische Richtung gelenkt werden. Sie sind gewöhnlich fähig zu sprechen; die Sprache ist heiser und undeutlich, kann aber durch einen guten Übungsplan für Zungengymnastik weitgehend verbessert werden. Die Koordinationsfähigkeit ist abnorm, jedoch nicht so geschädigt, dass sie nicht wesentlich gekräftigt werden könnte. Durch systematische Übung kann beträchtliche manuelle Fertigkeit erreicht werden.“ (Langdon-Down, 1866).

Dass die ethnischen Standards lediglich als Hilfsmittel dienten, zeigt sich auch darin, dass er zwar Begriffe wie mongolian familiy oder mongolian type verwendet, aber nie von mongolism (Mongolismus) sprach (dieser Begriff taucht erst bei späteren Autoren auf).

John Langdon-Down im Alter von 59 Jahren


Die Familie Langdon-Down
Mitte der 1850er Jahre lernte Langdon-Down im Haus seiner Schwester Sarah seine zukünftige Frau, Mary Crellin, kennen. Sie war die Schwester von Sarahs Ehemann, Philip Crellin, entstammte ebenfalls einer Kaufmannsfamilie und war wie Langdon-Down sehr religiös. Sie war eine kluge, gebildete und warmherzige Frau und eine begabte Pianistin. Schon bald sprachen Langdon-Down und sie über Heirat, jedoch stand dies zum damaligen Zeitpunkt nicht zur Debatte, da selbst eine mögliche Festanstellung am London Hospital noch Jahre der Mittellosigkeit bedeutet hätte. Erst die Tätigkeit am Earlswood Asylum bot die existenzielle Grundlage für eine Heirat und Familiengründung (siehe oben). So vermählte sich Langdon-Down erst mit fast 32 Jahren am 10. Okt. 1860 mit der gleichaltrigen Mary Crellin. Sie bekamen vier gemeinsame Kinder.

Mary Down mit ihrem Sohn Everleigh, fotografiert von John Langdon-DownEverleigh Langdon-Down wurde am 18. Dezember 1861 im Earlswood Asylum geboren. Er begann eine Militärkarriere, die jedoch abrupt endete, da er sich 1883 mit einem Meißel so schwer verletzte, dass er mit nur knapp 22 Jahren an den Folgen des Unfalls starb.

Lillian Down, fotografiert von ihrem VaterDie einzige Tochter, Lilian Langdon-Down, wurde am 21. April 1863 ebenfalls in Earlswood geboren. Im Alter von zwei Jahren erkrankte sie an hohem Fieber begleitet von heftigen Krampfanfällen, vermutlich verursacht von einer viralen Infektion des Gehirns. Sie starb nach zweiwöchiger schwerer Krankheit.

Am 4. August 1866 kam Sohn Reginald Langdon-Down in Earlswood zur Welt, während der jüngste Sohn, Percival Langdon Langdon-Down am 6. Mai 1868 in Normansfield, Teddington, geboren wurde. Beide Söhne erhielten Ausbildungen auf ausgezeichneten Schulen und Colleges, studierten beide Medizin wie ihr Vater und wirkten unter anderem auch am London Hospital. Später teilten sich die Brüder die Tätigkeit in einer Privatpraxis sowie die Leitung des Normansfield Trainings Institutes. Beide Söhne heirateten und gründeten jeder eine Familie.

Im Winter 1890 erkrankte Langdon-Down Senior an einer schweren Virus-Grippe, von der er sich nur sehr langsam erholte. In der Folge begann er das Herzmedikament Digitalis einzunehmen, vermutlich hatten sich dauerhafte Herzprobleme entwickelt. Trotzdem führte er seine verschiedenen Tätigkeiten fort. Am 7. Oktober 1896 brach er plötzlich zusammen und starb. Der herbeigerufene Arzt stellte Herzversagen fest. Seine Enkelkinder lernte er nicht mehr kennen. Trotz großer Trauer um ihren Mann, führte Mary die Geschäfte in Normansfield weiter, unterstützt von ihren noch weitgehend unerfahrenen Söhnen. Während einer schweren Grippe-Epidemie um 1900, die 10 Bewohnern von Normansfield das Leben kostete, erkrankte auch sie und starb.

Der Sarg von John Langdon-Down im Theater von NormansfieldReginald bekam mit seiner ersten Frau zwei Töchter und einen Sohn (er wurde nach 22 Ehejahren Witwer und heiratete später erneut). Letzterer hatte erwiesenermaßen das Down-Syndrom und hieß wie sein Großvater John. Er wurde in das von seinem Großvater entwickelte Ausbildungs- und Förderprogramm in Normansfield eingebunden, entfaltete dort viele Talente, war unter anderem ein guter Billiard-Spieler und liebte Musik. Auch nach der Übernahme von Normansfield durch den National Health Service im Jahr 1951 blieb er als „Privatpatient“ dort bis zu seinem Tod wohnen. Er erreichte das hohe Alter von 65 Jahren.

Reginald Down mit seiner Familie, 2. von links: Enkel JohnPercival und seine Frau bekamen drei Kinder. Tochter Molly wurde promovierte Ärztin und arbeitete bis ca. 1947 in Normansfield. Sohn Norman studierte ebenfalls Medizin, promovierte und war bis 1970 der letzte medizinische Leiter der Langdon-Downs in Normansfield.

Percival Down und seine Familie1997 wurde das Normansfield Hospital, wie es später hieß, endgültig geschlossen und im Zuge von Wohnungsbau-Projekten umgestaltet. Die Bewohner waren schon im Laufe der 90er Jahre sukkzessive in kleinere, kommunale Einrichtungen umgezogen. Erhalten wurde jedoch das einzigartige Privattheater, heute Teil des Langdon-Down-Centres, der sowohl den Hauptsitz der Down’s Syndrome Association sowie das Langdon-Down Museum beherbergt.

 

Diesen Text hat Dr. Katja Weiske geschrieben. Hier kann man den Text in klarer Sprache lesen. Anne Leichtfuß hat ihn übersetzt.

 

Eine ausführlichere Version des Textes sowie die weitere Entwicklung der ärztlichen Sicht auf Menschen mit Down-Syndrom kann man lesen in dem Buch:

Weiske, Katja: Die ärztliche Sicht auf Menschen mit Down-Syndrom. Göttingen 2008.

Weitere Quellen sind:

Pies, Norbert: John Langdon Haydon Langdon-Down (1828–1896) – Ein Pionier der Sozialpädiatrie. Erftstadt-Lechenich 1996.

Ward, O Conor: John Langdon Down 1828–1896 – A Caring Pioneer. London 1998.

 

 

 

 

 

 

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